Montag

Auch am vierten Tage ein Genuss - Tbilisi

Da die Orientexpertin der Reisegruppe seit vorgestern abend das Bett nur noch fuer kurze, vorher abgesprochene WC-Gaenge verlaesst, muss ich hier also das Blog am Leben erhalten. Zu Erzaehlen gibt es aber eigentlich nur, dass gestern abend auf Druck der (nur wenig russisch- und noch weniger englischsprechenden) Herbergsleitung ein junger Sanitaeter, der ein wenig Englisch sprach und ein aelterer guruaehnlich agierender Arzt, dessen Rolle im Unklaren blieb, da er ausschliesslich georgisch sprach, auftauchten und sich nach Verabreichens einer Spritze (die von einer ebenfalls anwesenden, aber leider voellig sprachunkundigen deutschen Aerztin fuer harmlos erklaert wurde) an die eben Erwaehnte wieder verabschiedeten.

Der heutige Tag brachte mir dann eigentlich nur einen laengeren Ausflug in die Innenstadt, von dem ich es fast nicht mehr zurueckgeschafft haette, auf dem ich aber wenigstens ein paar Buecher erwerben konnte. Jeder bringt halt mit heim, was er mag.

Da die eher unspektakulaere Gestaltung der letzten Tage die vorher angehaeuften enorme Devisenreserven entwertete, werden wir uns morgen wohl noch eine Fahrt im Taxi zum Flughafen goennen.

Sonntag

Krankenbett

Seit zwei Tagen ist unser Aktionsradius nun auf die bereits erwaehnte 46-Bett-Herberge im Herrenhaus beschraenkt, da wir uns mit merkwuerdigen Magen-Darm-Infekten (Familienmitglieder, die sich beim Lesen jetzt schon mit "baeh, da unen koennte ich eh nichts essen" abwenden, seien ermahnt, dass ihr Verhalten vorhersehbar ist) abwechseln. Ich habe mir fuer heute noch den Besuch eines georgisch-orthdoxen Gottesdienstes in der Nachbarschaft vorgenommen, hoffentlich ist das nicht zu viel Weihrauch fuer meinen schwachen Magen.


Zur Abwechslung noch zwei nette Bilder, zum einen die Herren-Damen-Markierung an der Toilette einer Metrostation im Osten von Tiflis.

Fuer Herren existiert anderswo auch noch die Markierung Zylinder, das Signum Regenschirm fuer die Damen scheint aber gesetzlich vorgeschrieben zu sein.


Zum zweiten ein Foto, das vielleicht illustrieren mag, dass Tomaten im Kaukasus nicht nur, wie auch die erklaerte Tomatenfeindin v.stin zugibt, ungewoehnlich schmackhaft, sondern in erster Linie sehr zahlreich anzutreffen sind.



Mein persoenliches Lieblingsbild in Form einer etwas traurigen Geschichte, die uns auf der Seite eines vormals griechischen Reisebusses begegnete: Die ehemals sehr froehliche Sonne hat fast alle ihre Zaehne verloren und ruft in ihrer Verzweiflung den kleinen Bus mit dem treudoofen Gesicht an, damit er ihr neue kaufen faehrt. Dieser setzt gleich sein allertreudoofstes Gesicht auf und kommt von der braunen Palme, unter der er vielleicht wohnt (man weiss es nicht), herbeigeeilt, um sie zu troesten.

Freitag

Signachi und wieder Tiflis

Nach dem grossen Erfolg diverser Federweisserabende in Leipzig beschlossen wir, der hiesigen Weinernte beizuwohnen. Wein wird in Georgien ueberwiegend im Suedosten, nahe der Grenze zu Aserbaidschan angebaut, in kleinerem Massstab aber im ganzen Land. Nach der Weinlese wird der Wein dann von den weinbauenden Georgiern an die restlichen Georgier verkauft, damit alle Bewohner des Landes am Volkssport des Kelterns und Gaerens teilhaben koennen.

Wir schliefen auf Empfehlung der Tiflisser Wirtin bei einem Winzer mit Familie in der Toskana Georgiens (unsere Benennung, hier nennt man lieber die Toskana das "Signachi Italiens"). Das Haus wurde bzw. wird dabei in durchaus interessanter Reihenfolge ausgebaut (zunaechst den Keller vor das Haus in Hanglage anbauen, dann einen Balkon drauf, anschliessend irgendwo mal streichen, im naechsten Jahr den Balkon verglasen, irgendwann den Keller renovieren, bis dahin ihn aber schon vermieten), wobei ich, um diesem Spektakel einmal hautnah beizuwohnen fuer uns spontan ein Zimmer im staubigen Keller buchte.

Die Stadt wird zur Zeit auf Geheiss des Praesidenten ausbebaut. Dabei kommt es zu der fuer Georgier ungewoehnlichen Arbeitsteilung von 3 Arbeitenden zu 2 Zuschauern. (Zitat Reisefuehrer: The main spectator sport, apart from watching other people at work, is soccer.)

Von Signachi aus fuhren wir mit dem Vater des Wirtes, bzw. dem Winzer persoenlich in die Richtung des Hoehlenklosters David Karechia. Unterwegs nahmen wir noch einen Blick auf eine bunte Gruppe Popen sowie einen Schluck heiliges Wasser in Ninotsminda mit, schlugen dabei das Angebot einer jungen Georgierin auf ein swimming in holy water aus, um dann nach einer Stunde Fahrt durch die Wueste das Kloster zu erreichen.



Das Wuestenkloster / Hoehlenkloster / Wuestenhoehlenkloster / Hoehlenwuestenkloster liegt dabei auf einem Kamm, der wie eine riesige Mauer inmitten der Wueste die Grenze zum Nachbarn Aserbaidschan bildet und geht zurueck auf den heiligen David Karechia, auf den in diesem Land allerlei zurueckgeht, der hier aber scheinbar ungefaehr seit dem 6. Jahrhundert begraben liegt, und hier mit der Idee, in Wuestenhoehlen einzusiedeln, reussierte. Statt weiterer Erlaueterungen einfach noch ein paar Bilder:


Mittwoch

Tiflis

Da Kutaissi zivilsatorische Errungenschaften, die wir in naiver Erwartung mit der zweitgroessten Stadt eines Landes vor den Toren Europas verbunden hatten, (z.B. Internetzugang nach 19h; Gaststaetten mit mehr als 3 verschiedenen Speisen; Trennung von Hotel- und Bordellgewerbe) ueberraschend nicht bieten konnte, sind wir kurzerhand (und in straeflicher Missachtung unzaehliger Kloester, die unsere Guides mit den voellig austauschbaren Praedikaten "one of the oldest ... in the Caucasus" / "most impressive .." / "pittoresque mountain scenery" zu adeln belieben) bis Tiflis durchgefahren, wo wir nun in einer sehr skurrilen Herberge wohnen (46 Betten in einem alten Herrenhaus mit dem Charakter eines bewohnten Nippesmuseums).

Dienstag

Kutaissi ist schaissi


(pointierte Zusammenfassung des Urteils, das nach langer Abwaegung der Weltreisende SCS ueber die zweitgroesste Stadt des Landes zu treffen sich gezwungen sah).

Liebe Georgienfreunde und solche, die es werden wollen!
Sollten Sie eines Tages mit dem Gedanken spielen, Kutaissi zu bereisen, steigen Sie unbedingt in "Ria's Guesthouse" ab, das nicht zu Unrecht auch Lonely Planet waermstens empfiehlt: Der Sexkinosound wird live und ungeschnitten ueber den Flur uebertragen, zu spaeterer Stunde (wenn der obligatorische Alkoholkonsum es dem georgischen Mann offenbar nicht mehr erlaubt, seiner Mannespflicht gebuehrend nachzukommen) verlegt man sich dann auf herzliches Feiern, Zetern und Geschrei; den neuen Tag begruessen stiernackige Herren mit einem ausgiebigen Toilettenbesuch, dessen Ergebnis der verklemmte Gast aus dem Abendland mit einem am Pornobrunnen (zentral in dem an eine Karawanserei aus 1001er Nacht gemahnenden Innenhof gelegen) gefuellten Eimer beseitigen darf; Ria selbst (Lonely Planet: ".. quite a character"), ein - mit Verlaub - magersuechtiges Wrack, torkelt morgens schon nach wenigen Minuten Tuerhaemmerns aus ihrem Kabuff, um den Gaesten mit einem liebevoll gebellten "Money!" auf den Lippen ihre Paesse zurueckzugeben.

Montag

Sehnsuchtsort der Selbstdarsteller




Welche Folge hat es, wenn ein Ort im Lonely Planet als ultimate travelling target beschrieben wird, verbunden mit dem Hinweis, dass es dort recht gefaehrlich sei?
Natuerlich den, dass alle Kaeufer ebenjenes Fuehrers sich dort treffen. Interessanterweise sind 80% derBackpacker in Georgien Israelis und Hebraeisch ist die erste Sprache, in die der LP Georgien uebersetzt wurde.

Also fuhren auch wir auf der Suche nach Abenteuer und Gefahr hin und hiermit spricht nun das Lehramt ueber Swanetien: Es handelt sich um einer Gruppe von Taelern, die nur ueber eine aeusserst schlechte Strasse vom Rest des Landes erreichbar sind. Diese Strasse wird nur von Wahnsinnigen in 30 Jahre alten sowjetischen Bussen befahren und bietet (bei 150 km Laenge) ungefaehr alle 2 km die Sehenswuerdigkeit Strassenkreuz fuer Verunglueckte.
An jedem dieser Kreuze steht eine Flasche Wodka, aus der Vorbeikommende einen Schluck nehmen sollen, um des Toten zu gedenken. Wenn Fahrer nicht mit der Erfuellung dieser heiligen Pflicht beschaeftigt sind, bietet die lange Strecke ihnen auch genug Zeit, waehrend der Fahrt mit Passagierinnen zu flirten oder den Heiland ueber der Windschutzscheibe abzustauben (auf dass er sein Gebalze unterstuetze).

Im Lande selbst hat zwar angeblich jedes Haus eine Kalaschnikow, diese werden aber nur in der Dorfkneipe getragen und es existieren Menschen mit Jacken Criminal Police. Da wir uns in Begleitung eines orts- aber nicht sprachkundigen Schweizers befanden (siehe Sonne von Mestia), waren wir voellig sicher und kommen mit Wolfgang S. zu dem Urteil einer eher abstrakten Gefaehrdungssituation, jedenfalls, solange man nicht in einem Auto sitzt.

Die Landschaft entspricht ungefaehr der der europaeischen Alpen, ausser, dass die Waldgrenze bei 2500 Metern liegt und von Laubbaeumen gebildet wird, ergibt also im Herbst zusammen mit den verfallenden Doerfern ein am Besten mit dem abgegriffenen Poserwort pittoresk beschriebenes Ensemble. An der Veroeffentlichung dieser Fotos hindert uns in erster Linie, dass in Tbilisi MemoryCards sowie zu ihnen gehoerende Anschluesse unbekannt sind.

Rudolf Blechschmidt ist wieder in Freiheit, darueber sind wir erleichtert.

Freitag

Batumi

Endlich geklaert:
Man kann an einem Tag von Kars nach Batumi reisen. Dass es dazu einer siebenstuendigen Fahrt in einem Kleinbus mit fortlaufender Kniemassage durch eine Grand-Canyon-artige Klamm, einer halbstuendigen Belehrung ueber das Fasten durch einen Taxifahrer, eines skurrilen Grenzuebertrittes zu Fuss und eines trotz Schnupfens olfaktorisch umwerfenden Transfers in einem georgischen Minivan mit 12 Sitzen und 18 Passagieren bedarf, soll ein anderes Mal naeher ausgefuehrt werden.